Mehr Mut, liebe Unternehmerinnen und Unternehmer
24.09.2024
Wirtschaft und Politik seien klar zu trennen und die gegenseitige Einflussnahme auf tiefstem Niveau zu halten, sagen die einen. «Die Zeiten sind vorbei, in denen sich Unternehmen nicht politisch äussern müssen», sagen andere, vorneweg die Vertreterinnen der Gen Z in den sozialen Medien.
Yaël Meier, Unternehmerin, Buchautorin sowie Gesicht und Stimme der Gen Z, schrieb kürzlich auf LinkedIn, ihre Generation wolle, dass sich Unternehmen politisch äussern. Schweigen sei genauso laut. Sie führte aus, dass sich in einer Befragung 40 Prozent der Teilnehmenden mehr politische Statements von Unternehmen gewünscht hätten, und begründete mit damit ihre Forderung. Sie lässt unerwähnt, dass mit 40 Prozent auf der einen Seite, eben auch eine Mehrheit der Befragten von 60 Prozent auf der anderen Seite diesen Wunsch nicht teilt.
Vorneweg: Als Beratungsunternehmen begleitet IRF solche Projekte sehr gerne. Aber:
Es ist zu unterscheiden, ob ein Unternehmen als organisatorische Einheit und Konglomerat von Menschen und Funktionen eine politische Haltung nach aussen trägt, oder ob ein Unternehmer, eine Unternehmerin als Wirtschaftsvertreter eine politische Meinung äussert.
Wenn North Face ein Video zum Pride Month mit einer Drag Performance dreht oder Swatch eine Uhr mit Regenbogenelementen lanciert, sind es Unternehmen, die Haltung zeigen. Wenn Peter Spuhler, Verwaltungsratspräsident von Stadler Rail, während des Abstimmungskampfes über die möglichen negativen Folgen der Masseneinwanderungsinitiative für die Industrie spricht, äussert sich ein Unternehmer politisch.
Wenn die politische Äusserung von Unternehmen darin besteht, eine gesellschaftliche Bewegung mitzumachen, in der Hoffnung, bei den Zielgruppen Anerkennung zu finden, entsteht kein echter Mehrwert. Unternehmen müssen sich deshalb nicht unbedingt politisch äussern. Wichtiger ist, dass sie eine klare Haltung haben. Sie müssen sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sein, Gleichbehandlung und Fairness für alle Mitarbeitenden hochhalten. Dazu gehört aber auch, unterschiedliche politische Meinungen im Unternehmen zuzulassen und Minderheiten nicht zu übergehen. Äussert sich ein Unternehmen politisch, besteht grosse Gefahr, dass es eine Minderheit unter den Mitarbeitenden übergeht.
Letztlich handelt es sich bei politischen Äusserungen von Unternehmen um Meinungsäusserungen von juristischen Personen. Doch können juristische Personen persönliche Ansichten, Überzeugungen, Einstellungen haben, die Basis einer Meinungsäusserung sind? Und wie findet der Meinungsfindungsprozess im Unternehmen statt, damit er politisch korrekt ist und alle Mitglieder des Konstrukts Unternehmen oder zumindest die grosse Mehrheit miteinbezieht?
Bei Exponentinnen und Exponenten von Unternehmen, die als Persönlichkeiten am politischen Meinungsfindungsprozess teilnehmen, sieht es anders aus. Wenn sie sich als Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter äussern, bringen sie eine wichtige Perspektive ein und leisten einen wertvollen Beitrag zum politischen Diskurs. Wichtig ist, dass sie sich ihrer Rolle bewusst sind und diese auch nach aussen klar machen.
Folgende Fragen sollte sich eine Unternehmerin, ein Unternehmer stellen, bevor sie sich öffentlich artikulieren:
Bei Unternehmerinnen und Unternehmern wäre mehr Mut zur Einbringung in den politischen Diskurs manchmal wünschenswert. Allerdings braucht es leider tatsächlich Mut und eine dicke Haut, um sich als Einzelperson politisch zu äussern und sich den meistens folgenden und teils harschen Reaktionen zu stellen.
Autorin: Marina Winder, Senior Director bei IRF Reputation AG